Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht
Eine musikalische Betrachtung von Dieterich Buxtehude
Was liegt näher in der Passionszeit, als sich ganz konkret mit den Leiden Jesu Christi am Kreuz zu beschäftigen? Die Klangräume e.V. tun dies, indem sie ein Werk von Dieterich Buxtehude aufführen: Membra Jesu nostri patientis sanctissima (Die allerheiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesus). Eingerahmt wird diese Musik von 2 Bach-Chorälen. Zu beginn hören wir ‚So gibst Du nun, mein Jesu, gute Nacht‘, als Schlußchoral ‚Verleih uns Frieden gnädiglich‘. Zwischen der Membra Jesu nostri spielt ein Gambenconsort 3 Werke von John Taverner, Sarah Mead und Stephen Barbour. Das Konzert findet am letzten Sonntag der Passionszeit in der Kirche St. Petri Altona statt, der Eintritt ist frei.
Die Klangräume e.V. bestehen seit 2010 und setzen sich aus 3 eigenständischen Musikgruppen zusammen: dem Chor Altona, dem Vokalensemble Capella Peregrina und dem Kleinen Kantatenorchester Altona, das heute mit 3 Streichern, 2 Violinen und einem Violoncello besetzt ist. Die heutige Aufführung wird von der Capella Peregrina gestaltet. Wir hören im Sopran Ulrike Bremer, Wiebke Kaiser und Esther Soltau, im Alt Astrid Hake und Anja Bednarz, im Tenor Jonathan Gable und Stefan Kreutz im Bass. Alle SängerInnen agieren sowohl solistisch als auch chorisch. Die musikalische Leitung hat Ulrike Weitkämper.
Dieterich Buxtehude (1637 – 1707) war ein im dänischen Helsingborg geborener Organist. Er war zunächst in seiner Geburtsstadt, später in Lübeck tätig. 1705 soll Johann Sebastian Bach vom thüringischen Arnstadt zu Fuß nach Lübeck gelaufen sein, um bei seinem musikalischen Vorbild Unterricht zu nehmen.
Buxtehude komponierte zahlreiche Orgelwerke und Kantaten.Die Membra Jesu nostri entstand 1680. Die Texte sind der Bibel entnommen, kombiniert mit einer Dichtung (Oratio Rhythmica), die zunächst Bernhard von Clairvaux, später jedoch Arnulf von Löwen, beides Äbte, zugeschrieben wurde. Diese Dichtung widmet sich in 7 Teilen den Körperteilen Jesu, in aufsteigender Reihenfolge: Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz und Gesicht. Texte davon finden wir heute in unseren Gesangbüchern wieder, z.B. in ‚O Haupt voll Blut und Wunden’ von Paul Gerhardt, der dem siebten Teil entnommen ist. Der musikalische Aufbau der einzelnen Teile ist ähnlich: Eine kurze instrumentale Einleitung, ein Bibeltext, passend zum jeweiligen Körperteil, 3 Arien aus der Dichtung und die Wiederholung des Bibelwortes.
Im Hinblick darauf, dass Bach ein Schüler von Buxtehude war, ist das Rahmenprogramm zu den 7 Kantaten des ‚Membra Jesu nostri‘ gut gewählt. Es ist ein mystischer Moment, als die Sängerinnen von der Empore aus, wie schwebend über den Zuhörern, den Choral ‚So gibst Du nun, mein Jesu, gute Nacht‘ anstimmen und uns so auf innige Weise auf die kommende Musik einstimmen.
Es folgt eine Komposition von John Taverner (1490-1545): In Nomine à 5 aus dem Benedictus der Missa Gloria tibi Trinitas.
Nun beginnt die Membra Jesu nostri. Es handelt sich hierbei um eine barocke, streng rhythmische Musik, die oft an eine Sarabande erinnert, eine Tanzform der Barockzeit, und die die Zuhörer irgendwie in ihren Bann zieht.
Der erste Satz Ad pedes beginnt mit einem kurzen Streicherspiel, währenddessen der Chor einzieht. Es folgt eine fugenartige Phase in recht schnellem Tempo zu den Bibelworten ‚ecce super montes‘. Voll Fröhlichkeit wird die Ankunft des Herrn besungen, der auf seinen Füßen über die Berge kommt.
Nun hören wir Ad genua: Nach kurzem Streichervorspiel beginnt der Chor mit den Worten ‚ad ubera portabimini‘. Er besingt, welche Ehren das Volk dem Herrn entgegenbringt: ‚und auf den Knien wird man euch liebkosen‘. Alle 4 Stimmen haben Soloeinsätze. Der Satz endet majestätisch im Chor mit einem Lobgesang: ‚bladicentur vobis’.
Sarah Mead, eine Musikerin der Gegenwart, ist spezialisiert auf barocke Kammermusik. So fügt sich ihre nun folgende Komposition (5×5)5 gut in den Ablauf ein.
Traurig, bewegt fragt in Ad manus der Chor: ‚was sind das für Wunden inmitten deiner Hände’? Dieser Teil erzählt erstmalig von den Verletzungen, die Jesus am Kreuz erlitten hat. Er ist inniger, getragen und ruhig, erinnert an gregorianische Gesänge. Die Sopranistinnen haben später schöne, klar gesungene Einsätze.
Satz 4 Ad latus liegt als Text ein Vers aus dem Hohelied zugrunde: ‚erhebe dich, meine Freundin, meine Schöne‘. Entsprechend hoffnungsvoll, fröhlich klingt die Musik, die von den Sopranistinnen, später auch den anderen Solostimmen liebevoll gesungen und vom Chor in Einwürfen wiederholt wird. Soll hier der Mensch besungen werden, der ‚an meiner Seite‘ steht?
Auch das Zwischenspiel des Gambenconsorts von Stephen Barbour, 52nds scheint aus der Epoche der Musik von Buxtehude zu stammen.
Der 5. Satz Ad pectus ist, wie auch der 6. Satz, der sich dem Herzen widmet, sparsamer, ursprünglich nur mit SolistInnen besetzt. Durch diese dadurch innige Komposition soll auf die besondere Lage von Brust und Herz hingewiesen werden, nämlich innerhalb des Körpers. Die SängerInnen singen gemeinsam und solistisch. Hier wird die Welt mit den Kindern verglichen: ‚genau wie Babys geboren …. bringt die Welt an meine Brust‘. In spielerischen Melodien wird der Herr gepriesen.
Ad cor ist das ‚Herzstück’ der Komposition. Der Satz ist schlicht, einfühlsam. Die Streicher schweigen, erstmalig sehen wir das Gambenconsort, das von der Empore hinabsteigt und den Satz begleitet. Er beginnt mit einem Wechselspiel aus ruhigen und bewegten Phrasen. Dann hören wir die Solisten, bewegend, innig und tatsächlich wie verletzt: ‚Du verletzt mein Herz‘. Ein wunderschöner Satz, der von den SängerInnen mit Liebe und Hingabe gesungen wird.
Ad faciem: Lass Dein Angesicht leuchten, so beginnt der Chor nach kurzem Instrumentalspiel. Hier hören wir auch die Vorlage zum Paul Gerhardt Lied (facie sputis illita – sein Gesicht war mit Speichel verschmiert). Dieser Teil wird von den Bass-, Tenor- und Altstimmen eindrücklich gesungen, das folgende Altsolo ‚dum me mori est necesse’ klingt warm und mitfühlend. Zum Schluss hören wir alle SängerInnen, das Streichertrio und das Gambenconsort: Ein breites, schwingendes, befreiendes Amen beschließt den Zyklus.
Dann erklingt das uns so bekannte Kirchenlied: Verleih uns Frieden gnädiglich. Damals wie heute gilt diese Bitte. Der Chor singt den Bachchoral, und in Gedanken bitten wir mit.
Dies war die erste Aufführung der Capella Peregrina nach der langen Corona-Abstinenz. Die SängerInnen hatten sichtlich Freude, diese Komposition zu präsentieren, und eine vorösterliche Musik abseits der bekannten Passionen zu hören, war eine schöne Erfahrung. Die Zuhörer in der gut besuchten Kirche dankten Ihnen mit langem Applaus.
Marlies Radtke