Konzert

Vom Dunkel ins Licht – Ein Abend voller Leid und Trost

Der Hamburger Oratorienchor singt zur Passionszeit Werke von Ralph Vaughan Williams und Johannes Brahms

Am 5. März fand ein ganz besonderes Konzert in der sehr gut besuchten Laeiszhalle statt: Die ca. 115 SängerInnen des Hamburger Oratorienchores sangen das Dona Nobis Pacem von Ralph Vaughan Williams und Ein Deutsches Requiem von Johannes Brahms.

Der Hamburger Oratorienchor setzt sich aus 3 Chören zusammen: Der Hamburger Oratorienchor Altona, der Hamburger Oratorienchor Barmbek sowie der Brahms-Chor Bergedorf agieren jeweils getrennt, jedoch finden regelmäßig gemeinsame Auftritte statt, für die dann auch gemeinsam geprobt wird. Die Symphoniker Hamburg begleiten den Chor. Als Solisten hören wir Hanna Zumsande im Sopran und Sönke Tams Freier im Bassbariton. Thekla Jonathan, die seit 1998 Dirigentin des Chores ist, leitet das Konzert.

Es sind nicht nur die verschiedenen Epochen, die an diesem Abend aufhorchen lassen. Es sind auch die Aussagen der verschiedenen Texte, die der Hamburger Oratorienchor so eindrücklich singt. Ralph Vaughan Williams beschreibt und vertont traurige, ja grausame Kriegsgeschehnisse, umrahmt von zunächst düsteren, später Hoffnung spendenden Bibelversen. Johannes Brahms komponiert sein Requiem nicht als Totenmesse, sondern als Requiem für die Lebenden, und legt seiner Musik Bibelverse zugrunde, die denen, ‚die da Leid tragen‘, Trost spenden sollen. Wir hören mit diesen beiden Werken völlig unterschiedliche Kompositionen, die jedoch beide ins Licht führen.

Die Kompositionen von Ralph Vaughan Williams (1872-1958) gehören zum Repertoire britischer Konzerthäusern, während sie in unserer Region noch weitgehend selten aufgeführt werden. Bekannt sind die ‚Greensleeves-Fantasie’ sowie die ‚Thomas-Tallis-Variationen‘. Wir hören heute eine für unsere Ohren fremde, dennoch melodische klingende Musik.

DasDona Nobis Pacem entstand 1936 unter dem Eindruck des vergangenen Krieges, den der Komponist als Soldat erlitten hatte, und dem des drohenden zweiten Weltkrieges. Die Uraufführung fand im gleichen Jahr in Huddersfield statt. Die Texte stammen in großen Teilen aus einer Gedichtsammlung des US-amerikanischen Dichters Walt Whitmans, daneben aus Bibelzitaten und Teilen der katholischen Messe-Liturgie.

Die Komposition umfasst 6 Teile.

Williams beginnt den ersten Satz Dona nobis pacem mit den Worten des Agnus Dei, das in der katholischen Messe-Liturgie den Abschluss bildet. Ein Sopransolo ist mit der Bitte um Frieden zu hören, vom Chor sanft wiederholt, bevor, mit einem Trommelwirbel eingeleitet, vom Chor ein Aufschrei nach Frieden ertönt. Auch die nachfolgenden zarten, ruhigen Passagen sind mit dramatischer, kriegerisch anmutender Orchesterbegleitung unterlegt. So deutet der Komponist auf einen kommenden Krieg hin, auf die Grausamkeiten und die Furcht. Vor dem Hintergrund der momentanen Kriegssituation ist dieser Satz besonders eindrücklich und bedrückend. Er endet, wie er begonnen hat, im Sopransolo, zart, bittend; jetzt jedoch untermalt mit bedrohlichem rhythmischen Trommeln, wie aus der Ferne.

Übergangslos, mit fanfarengleicher Musik der Trompeten eingeleitet, beginnt der nachfolgende Satz Beat! Beat! Drums!. Wirhören erstmalig einen Text von Walt Whitmans. Er basiert auf seinen Erlebnissen während des amerikanischen Bürgerkrieges, der hunderttausende Todesopfer forderte. Szenen des Alltags werden beschrieben, das tägliche normale Leben, in das der Krieg Einzug hält (through the windows, through the doors, into the solemn church, into the school). Menschen werden beklagt (mind not the young man, the old man, the mother, the child). Sowohl der Gesang des Chores als auch die Instrumente (Bläser und Schlagzeug) zeugen von der alles zerstörenden Gewalt des Krieges, lassen keinen Zweifel zu an den Aussagen der Texte. Dennoch, der Satz endet, wie zum Trost, mit einer zarten Streicherpassage, die jedoch von den Trommeln – wie eine Mahnung an all das Schreckliche – im pianissimo untermalt wird: beat beat Drums.

Wieder folgt ein nahtloser Übergang in den 3. Satz Reconciliation. Der zarten Einleitung folgt ein Solo des Baritons. Er singt von Versöhnung, der Chor stimmt später mit sphärisch anmutenden Klängen ein. Die schönen Melodien stimmen friedlich, beruhigen, wie auch der Text beruhigend ist (war and all its deeds of carnage must in time be utterly lost). Doch dann wieder der Bariton: Leise und traurig besingt er den Feind, der im Grab liegt (a man divine as myself is dead), zu dem er sich beugt und ihn küsst. Passend dazu endet der Satz mit einem kurzen Sopransolo, untermalt vom Chor, mit der immer währenden Bitte: Dona Nobis Pacem. Ein bittersüßer Moment.

Der letzte Ton des Sopran geht in den 4. Satz Dirge for Two Veterans über, wieder erinnern die Pauken an Kanonenschüsse, Blechbläser spielen Fanfaren, die Streicher stimmen ein. Es folgt eine längere Orchestersequenz, anschwellend und gewaltig. Der Chor setzt mit einer schlichten Melodie ein, erzählt vom letzten Sonnenstrahl, der in ein Grab fällt, vom aufsteigenden Mond. Dann wird ein Trauermarsch für Vater und Sohn gesungen, die gemeinsam getötet wurden, und den die Mutter bewacht. Ein Verlust, der alltäglich ist im Krieg. Jedoch, die trauernde Welt steht der Mutter bei (My heart gives you love). Der Chor singt diese unglaublich bewegende Musik anrührend und einfühlsam.

Im 5. Satz The Angel of Death singt der Bariton die Vertonung von Worten des englischen Redners John Bright aus dem Jahr 1855 über einen Todesengel. Bright warnte in dieser Rede vor einer Teilnahme seines Heimatlandes am Krimkrieg (that he may spare and pass on). Nach dieser kurzen, ruhigen, eindrücklichen Sequenz folgt ein weiterer Schrei des Chores nach Frieden. Die Sopranistin wiederholt den Ruf. Er endet tief, ruhig, traurig. Es folgen Klagelieder, vom Chor gesungen (We looked for place, but no good came). Der zunächst fordernd, eindringlich klingende Gesang schwillt wieder ab, klingt zum Schluss hoffnungslos.

Aber das ist nicht das Ende: Die Stimmung wendet sich im letzten Satz O man greatly beloved. Es folgt eine Reihe von Bibelzitaten, die Hoffnung geben (Oh man, greatly beloved, fear not, peace be unto thee). Der Bariton bringt das zunächst zum Ausdruck, es folgt eine sich freundlich, lieblich anzuhörende Passage der Streicher. Dann singt der Chor von Hoffnung und Frieden, bis er das Hosianna strahlend ertönen lässt (Glory to God in the highest, and on earth peace). Den Schluss bildet – wie auch den Anfang – das Dona Nobis Pacem. Zunächst von der Sopranistin wie schwebend gesungen, stimmt der Chor ein, wir hören ein Wechselspiel, das immer leiser, immer zarter in einer tiefen Stimmlage gesungen wird, bis der Sopran das Pacem – hier ist ein ‚niente‘ notiert – wie ein Nichts wunderbar aushaucht.

Das Requiem von Johannes Brahms – wer unter den Zuhörern hat es nicht schon einmal gehört, vielleicht sogar gesungen? Es ist eine erhabene, ergreifende Musik, die noch lange nachklingt. Ursprünglich wurde ein Requiem als eine Totenmesse mit vorgegebenen Texten geschrieben. JohannesBrahms (1833 – 1897), in Hamburg in evangelisch-lutherischer Tradition erzogen, schrieb sein Requiem als eine Musik der Hoffnung für die Trauernden, Hinterbliebenen. Er legte ihm, anders als in einem Requiem üblich, Worte des Alten und Neuen Testamentes zugrunde. In einem Brief an Clara Schumann, mit der er einige Zeit eng verbunden war, schrieb er: ‚Wozu hat denn der Mensch das himmlische Geschenk, die Hoffnung, empfangen?’ Das Werk entstand zwischen 1861 (erste Textzusammenstellungen) und 1868. Zunächst bestand es aus 6 Teilen, die am 10. April 1868 im Bremer Dom uraufgeführt wurden. Anlässlich des Todes seiner Mutter komponierte Brahms später einen weiteren Satz ‚Ihr habt nun Traurigkeit‘, der als 5. Satz eingefügt wurde. Die Uraufführung des kompletten Werkes fand am 18. Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus statt.

Das Werk weist durch die Einfügung des 5. Satzes eine Symmetrie rund um den 4. Satz auf. So beginnen der erste und der letzte Satz mit dem Wort ‚selig‘, das auch das Schlusswort ist. Der Chor beginnt nach einer geheimnisvoll klingenden Orchestereinleitung den ersten Satz Selig sind, die da Leid tragen in allen Stimmen gemeinsam, mit einem leisen, dunklen Einsatz. Und es klingt wirklich wie eine Stimme, die SängerInnen hören aufeinander, folgen dem Dirigat und sind – auch in den folgenden Sätzen – sehr gut zu verstehen. Ein perfekter Anfang! Den ersten Takten  folgt ein ruhiger Satz, der ausdrucksvoll gesungen wird. Etwas lebhafter, freudiger erklingt das ‚Die mit Tränen sähen, werden mir Freuden ernten’. Zum Schluss singt der Chor ein zartes ‚denn sie sollen getröstet werden’, eine leise ausklingende Harfe beendet den Satz.

Im Kontrast dazu stehen der 2. Satz Denn alles Fleisch, es ist wie Gras und der 6. Satz Siehe, ich sage euch ein Geheimnis.

Pauken und Bläser begleiten im 2. Satz die unteren Stimmen im ersten Einsatz und erzeugen einen marschmäßigen Klang. Dann, schlicht und liedhaft, erklingt das ‚so seid nun geduldig‘. Der Chor beherrscht das folgende Wechselspiel der verschiedenen Ausdrücke, des majestätischen und lieblichen, zarten Singens sehr gut. Der Satz endet im pianissimo mit den Worten ‚ewige Freude‘. Wie wahr!

In den Sätzen 3 Herr, lehre doch mich und 5 Ihr habt nun Traurigkeit hören wir die Solisten. Der Bariton beginnt, ein tiefes, bittendes ‚Herr, lehre mich doch‘, der Chor wiederholt zunächst den Text. Dann, nach der Frage des Solisten ‚Nun Herr, wes soll ich mich trösten’, gibt er die Antwort ‚Ich hoffe auf dich’ und übernimmt ganz. Breit und majestätisch singt er die Worte, bekräftigt sie in einer Fuge: Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand!

In Satz 4 Wie lieblich sind deine Wohnungen wird die Musik dem Text gerecht, sie klingt lieblich und schlicht. Eine kurze, etwas lebhaftere Fuge ‚die loben Dich immerdar‘ unterbricht die Melodie, die jedoch zum Schluss wieder aufgenommen wird. Lieblich, wie es der Text vorgibt, endet der Satz.

Satz 5 Ihr habt nun Traurigkeit beginnt in langsamem Tempo mit einem Sopran Solo, dem der Chor mit ‚ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet‘ in einem Wechselspiel antwortet. Es ist eine Freude, dem innigen Gesang der Sopranistin zu lauschen, und den immer wiederkehrenden, beständigen Worten des Chores.

Im folgenden 6. Satz Denn wir haben hie keine bleibende Statt singt der Chor zunächst im Andante, jedoch abgehackt, zögerlich, unwissend. Der Bariton führt fort (siehe, ich sage euch ein Geheimnis). Dann aber, (plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzen Posaune), beginnt ein crescendo im Chor, erzählt von Auferstehung, vom Sieg über den Tod. Der Gesang, begleitete von einem großen Orchester, steigert sich bis zu der im fortissimo ausgerufenen Frage: ‚Hölle, wo ist Dein Sieg‘? Den Schluss bildet eine Fuge, die der Alt beginnt (Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft). Es ist ein Lobgesang, eine Bekräftigung (denn du hast alle Dinge erschaffen), die kraftvoll gesungen wird und auch mit den entsprechenden Worten endet: und Kraft!

Im 7. Satz Selig sind die Toten beginnt der Chor im Sopran, die recht hohe solistische Passage klingt klar und wird schlicht und feierlich gesungen. Die folgenden Worte ‚ja, der Geist spricht‘, sicher und fest unisono in den Unterstimmen gesungen, lassen keinen Zweifel. Lieblicher, melodiöser dann ‚dass sie ruhen von ihrer Arbeit‘. Zum Schluss noch einmal eine Bekräftigung, ein ruhiges ‚Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben’. Das Requiem beschließt ein dunkles, leises ‚selig‘, das die Harfe ausklingen lässt.

Es ist ein tief bewegender Abend. Ralph Vaughan Williams wird das Zitat, an seine Studenten gerichtet, zugesprochen: „Musik wird euch ermöglichen, jenseits der Tatsachen die Essenz der Dinge zu erblicken, wie es die Wissenschaft nicht zustande bringt“. Den Beweis bringen die beiden Kompositionen, die wir heute hören durften. Hochachtung und Dank gebühren dem Chor, der sich in dieser Zeit musikalisch intensiv mit vergangenen und gegenwärtigen Kriegssituationen auseinandergesetzt hat und uns diese Musik heute so spürbar nahe bringen konnte.

Der Applaus will nicht enden.

Marlies Radtke

Fotos

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